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23.06.10

"Europäisches Kulturerbe. Bilder, Traditionen, Konfigurationen" (Kopie 1)

Internationale Tagung an der Universität Kassel vom 8.-9. Oktober 2010

„Das europäische Kulturerbe ist eine Evidenz, die es noch zu erfinden gilt“, eröffnete 2007 der damalige Präsident des Institut National du Patrimoine Jean Musitelli die Konferenz „Patrimoines de l’Europe, patrimoine européen?“ Eines oder viele, Kohäsion oder Divergenz, Einheit oder Pluralität – die Beschaffenheit von Kulturerbe in Europa bzw. von europäischem Kulturerbe wird in einem transnationalen Spannungsfeld konfiguriert, das von verschiedensten Faktoren und Akteuren bestimmt wird. Auf uns gekommene historische Konzeptionen von Kulturerbe und Denkmalpflege und denkmaltheoretische Diskurse der Gegenwart spielen darin ebenso eine Rolle wie gegenwärtige politische und gesellschaftliche Debatten über die Bedeutung eines transnationalen europäischen Erbes im Rahmen der europäischen Integration und der Osterweiterung der EU. Ein gemeinsames europäisches Kulturerbe wird als „Vektor gemeinsamer Werte“ vom Europarat postuliert und von der Politik als Nationen verbindender Faktor innerhalb Europas bemüht. Als vermeintliche Selbstverständlichkeit suggeriert „das“ europäische Kulturerbe oftmals scheinbare Einheit und Geschlossenheit in einem dabei vielmehr von Diversität und Pluralität gekennzeichneten Konglomerat verschiedenster Auffassungen von kulturellem Erbe.

Mit Inkrafttreten der UNESCO-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes 2006 hat sich das Bild des Kulturerbes grundlegend gewandelt. Die „fast fetischartige Bindung an materielle, geschichtlich ‚aufgeladene’ Substanz“ (Georg Mörsch) wird durch die Erweiterung des Kulturerbe-Begriffs um die Dimension des Immateriellen zunehmend aufgeweicht und über Europa hinaus erweitert. Tango, Kalligraphie und polyphone Gesänge sind neben Tempel, Burgen und historische Stadtviertel getreten und sollen das world heritage von einem auf materielle Substanz fixierten Eurozentrismus abrücken. Parallel zur aktuellen Immaterialisierung des Kulturerbes gewinnt jedoch das Dingliche gleichzeitig Aufmerksamkeit als Objekt einer aus Anthropologie und Archäologie hervorgegangenen, mittlerweile multidisziplinären „material culture“-Forschung, welche sich eben gerade der Bedeutung gegenständlicher menschlicher Artefakte innerhalb umfassenderer kultureller Prozesse zuwendet. Denkmalpflege ebenso wie Museums- und Ausstellungswesen sind traditionell Paradebeispiele für die Verknüpfung und Vermittlung abstrakter Inhalte über das materielle Objekt.

Im Spannungsfeld von Materialität/Immaterialität kommt der visuellen Übermittlung von Kulturerbe in der Folge des iconic turn eine zentrale Bedeutung zu. Kulturerbe und Erinnerungsorte werden in der „génération images“ (Christine Albanel) verstärkt durch Bilder definiert und übermittelt. Die Denkmalpflege hat sich in Theorie und Praxis in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema des „Bildes vom Denkmal“ beschäftigt  und auf die problematische Rolle des Denkmals als Bildmedium hingewiesen, das „als räumliches und zeitliches Gebilde eine quasi unbegrenzte Menge an Informationen [speichert], in wesentlich mehr Dimensionen als ein Bild dies tun kann“ (Hans-Rudolf Meier, Thomas Will).

Im europäischen Kontext kommt diese Multidimensionalität in gesteigerter Form zum Tragen und stellt die mediale Übertragung und Repräsentation europäischen Kulturerbes vor komplexe Aufgaben, denen sich aktuelle Museums- und Ausstellungsprojekte wie das zukünftige „House of Europe“ in Brüssel widmen. Parallel untersucht auch die Forschung das Phänomen der Entwicklung eines europäischen Narratives und die „Musealisierung Europas“ (Stefan Krankenhagen), im Zuge derer analog zum Parameter eines vermeintlich kohärenten Kulturerbes auch in Museen und Ausstellungen „cohesive master narratives“ (Wolfram Kaiser) entworfen werden.

Auf einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Tagung vom 8. bis 9. Oktober 2010 an der Universität Kassel sollen die verschiedenen Faktoren näher untersucht werden, die ein – in der Tat keineswegs evidentes – europäisches Kulturerbe konfigurieren. Drei Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt: Zum ersten die zwischen Materialität und Immaterialität changierende Konsistenz europäischen Kulturerbes, zum zweiten seine Konstruktion im Spannungsfeld von Kohäsion und Divergenz einer pluralen Gesellschaft und zum dritten seine Repräsentationen und medialen Übertragungen.

Veranstaltet wird die internationale Tagung unter Leitung von Prof. Dr. Winfried Speitkamp von der Forschungsgruppe „Bilder europäischen Kulturerbes“, die als Teil des vom BMBF geförderten Verbundprojektes „Lost in Translation? Europabilder und ihre Übersetzungen vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“ an der Abteilung für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Kassel angesiedelt ist.

Nähere Informationen folgen in den nächsten Wochen.

Kontakt:

Prof. Dr. Winfried Speitkamp
Projektleitung
Universität Kassel

Fachbereich 05 – Gesellschaftswissenschaften

Neuere und Neueste Geschichte

Nora-Platiel-Str. 1
D - 34127 Kassel
speitkamp@uni-kassel.de

Florian Greßhake, M.A.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Tagungsorganisation
+49-561-804-1831
florian.gresshake@uni-kassel.de

Frauke Michler, M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin/Tagungsorganisation
frauke.michler@uni-kassel.de


 

Ein Verbundprojekt von:

Georg-Eckert-Institut f&uumlr internationale Schulbuchforschung

Universität Kassel

Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam

Bundesministerium für Bildung und Forschung